Ina Hsu | BELOVED BEAST

Rosanna Dematté

Mensch und Tier teilen bei Ina Hsu eine geheime Existenz, sie entwaffnen uns mit ernsthaften, selbstsicheren und fragenden Blicken, verweilen - gemeinsam und allein - in jenem Land der schweigenden Möglichkeiten, der Raum- und Zeitlosigkeit. Tiere und Menschen, die eine wertfreie Atmosphäre inhalieren, einen ruhiges Gemach miteinander schaffen und einen geträumten Lebensraum bewohnen.

Das Werk von Ina Hsu entsteht aus der Tiefe ihrer inneren Bilder auf mittel- und großformatigen Oberflächen aus bespanntem Molino, die sie mit Öl und Acryl in Menschen- und Tiergestalten auf monochrom grundierten oder unbemalten Hintergrund übersetzt. In früheren Jahren nahm sie während ihrer Reisen Erinnerungsfotos auf kleine Leinwände auf, wobei die schwindende Vergangenheit der Schnappschüsse in die tastbare Gegenwart des Gemalten umgewandelt wurde. Der gemeineinsame Nenner in ihrem Werdegang findet sich in der Behauptung der Malerei als Präsenz und Ausgangspunkt, nie als Sehnsucht oder memento mori. Sie stellt deshalb lebende Tiere und Menschen dar, keine Stilleben aus toten Körpern, selbst wenn es darum geht von einem Freund zu verabschieden (Seven sleep forever, 2012). Ina Hsu läßt uns bewußt den Entstehungsprozess ihrer Gemälde erkennen. Die einzelnen Pinselstriche bleiben auch bei aller naturalistischen Präzision sichtbar, die Farbe der Vorzeichnung tropft. Sie erlauben uns nicht, in die gemütliche Illusion des Bildes als Fenster einzusinken, sondern zeigen uns die malende Hand, die uns zur Suche einer neuen Realität ermuntert.

Menschen und Tiere rücken in ihren Bildern in eine undefinierbare Dimension ein, die andere Autoren auf die Darstellung eines verlorenen Paradieses reduziert haben und damit jedoch konzeptuellen Weg der Künstlerin nicht gerecht worden sind, auf welchem das Weglassen der Hintergrundsdarstellung eine wesentliche Rolle spielt. Denn Ina Hsu riskierte den Sprung ins Leere und stellt ihre eigene, zeitgemäß-kontroverse Aktualität bloß, um die Möglichkeiten der Malerei als Weg zur eigenen Mitte auszuloten. Seit ihrer Kindheit findet sie in der Gegenwart von Tieren eine Zuflucht vor dem Gefühl des (Sich-)Fremd-Seins, vor der als störend empfundenen Ambivalenz, eine Österreicherin taiwanesischen Aussehens zu sein. Die Malerei wird zum Mittel zur Erforschung der eigenen Identität. Tiere und Menschen besetzen einen neuen Raum, der Kontext- frei sein will: Der Verzicht auf sämtliche traditionellen kompositorischen und perspektivischen Ordnungssysteme, jene, die unsere Wahrnehmung der Welt strukturiert haben, soll das Bild soweit als möglich von kulturellen Wertigkeiten und Vorurteilen befreien. Die Komposition basiert auf den Blicken und dem farbigen Gewicht der Glieder der Hauptfiguren, die hin und wieder von wenigen, nur zärtlich angedeuteten Elementen der Umwelt (Zweigen, Wasserflächen, Decken...) gestreift werden. Durch das technische Weglassen des Hintergrunds dürfen neue Ich- und Wir-Begriffe entstehen.

Die tierische Bildwelt von Ina Hsu entsteht auch durch ein unerschöpfliches, anti-enzyklopädisch assoziatives Sammeln von Texten, Abbildungen und anderen Gegenständen über die Tierwelt. Ein mit ihrem Atelier verwachsender Ideenfundus, bestehend aus Ausschnitten aus Lexika, Zeitungen und Zeitschriften, aus kleinen Plastikfiguren, ausgestopften Tieren, Gläsern mit getrockneten Insekten, etc.... Da nistet sich ein bestimmtes Tier auf der Netzhaut der Künstlerin ein und wird bald, ohne eine vernünftig fassbare Logik, mit einer Person kombiniert, die sie immer malen wollte. Dort werden nur Tiere gemalt, wobei die Künstlerin den Wunsch eines eigenen Bestiariums verfolgt. Tiere stehen in Gemälden wie Tapirbaby (2011), Schwimmender Tiger (2012) oder Punschkrapfen (2012) noch deutlicher "für" die Menschen und nicht nur "bei" den Menschen, als ob die symbiotische Identifikation vollzogen worden wäre.

Durch eine ungewohnte Darstellung des Tieres wurden die Phantome der alten Ästhetik, der kodierten sinnlichen und geistigen Wahrnehmung der Welt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelöscht. Tiere, die die Last des Symbol-Seins getragen hatten, wurden expressionistisch farbig (Franz Marc), der althergebrachten Realität untreu dargestellt und bei der Suche eines neuen, von den alten Glaubensbekenntnissen befreiten, menschlichen Zugangs zur Welt eingesetzt. Das Tierbild durfte sowohl von der altertümlichen die auf das Physiologus und die mittelalterlichen Bestiarien basierte Tiersymbolik, als auch von den naturwissenschaftlichen Deutungen des 19. Jahrhunderts, in denen das Tier als Vorstadium des Menschen in der Evolution betrachtet wird, entlastet werden. Die Künstler der sogenannten Klassischen Moderne erahnten eine neue, geistige Ebene (Wassily Kandinsky), die des Unbewußtseins, des Traumes (Joan Miró, Salvador Dalí), eine Realität ohne den Ketten der Vernunft (Giorgio De Chirico), der Tradition, der Religion, der Zeichentheorien, der naturwissenschaftlichen Kategorien, etc.... Alle Beispiele dieser ästhetischen Entwicklung in der Auseinandersetzung mit dem Tierbild als menschliches Gegenüber oder Alter Ego – diese reicht von der Tierphysiognomik bis zu den Tier-Performances der 1960er und 1970er Jahre (Joseph Beuys) und zur Körperlichkeit der Mensch-Tier-Synthesen von Maria Lassnig - prägten sich als technisch kategorische Versuche gegen eine automatisierte symbolische oder naturwissenschaftlich begrenzte Wahrnehmung der (Natur-)Welt ein, für eine offenere Projektion des menschlichen Daseins.

Die Darstellung von Tieren als Quintessenz der ursprünglichen, gesetzlosen Existenz hatte ein Jahrhundert zuvor bei Aloys Zötl und Henri Rousseau, den Menschen umgehend, zur Entdeckung eines neuen Weges zu seinem tierischen Ich geführt, in dem er sich wieder unverfälscht verlieben kann. Die gleiche schwingende, ernsthafte und scharfe Stimme der Gemälde von Rousseau und Zötl spüren wir in den Bildern von Ina Hsu. Jene beliebten und urteilsfreien Wesen, die ihr Mitbewohner und Freunde sind, werden nie mehr nur Worte und Begriffe sein. Sie sind heimliches Licht, flüssige Farbe, beseelte Augen, suchend und wartend auf den kommenden Atemzug.




Ina Hsu | BELOVED BEAST

Rosanna Dematté

Humans and animals share a mysterious existence in Ina Hsu's works. They disarm us with their serious, confident and interrogative gaze, they dwell – together and alone – in that land of silent possibilities, where neither space nor time matter. Humans and animals inhaling a value-free atmosphere, inhabiting a common quiet chamber in a dreamed living space.

Ina Hsu's paintings emerge from the deepness of her inner images on middle or large-sized molino surfaces, translated in oil and acrylic to human and animal figures, on monochrome or unpainted backgrounds. In her first years she travelled with her favourite photographs and recorded them on small canvases, so that the evanescent past of those snapshots could be converted into the tangible present of the painting. The common denominator in her career as a painter is her claim, that painting is a presence and starting point, never nostalgia or memento mori. She represents living animals and people, no still lifes of dead bodies, even when she wants to say goodbye to a friend (Seven sleep forever, 2012). Ina Hsu wants us to recognize the creation process of her paintings. Her pictures are naturalistic and precise, but each brushstroke is still visible, the colour of the preparatory lines run down the canvas. They do not allow us to sink into the comfortable illusion of the painting as a window, but rather show us the painter's hand, which encourages us to search for a new reality.

Human and beast immerge in a non-definable dimension, which other authors reduced in their description to a representation of a lost paradise and failed the conceptual method of the artist, where the omission of the background image plays an essential role. Ina Hsu really risked a jump into emptiness and exposes the controversial actuality of her own personal history, to analyse the possibilities of painting as a path to her own inner centre. Ever since she was a child, in the company of animals she has found an escape from the feeling of being a stranger (to herself), from the disturbing ambivalence of being a Taiwanese-looking Austrian woman. Painting became her instrument for the investigation of one's own identity. Human and beast occupy a new space, which can finally be free of any context: by refusing all traditional orders of composition or perspective, those which have been structuring our perception of the world, the painting can be relieved from all cultural value systems or prejudices. The composition is based on the glances and the coloured weight of the protagonist's limbs, which at times are caressed by few airy elements of the environment (branches, water mirrors, blankets...). The technical omission of the background allows new "I" and "We" definitions to emerge.

Ina Hsu's world of animal images emerges also from her inexhaustible collecting of texts, pictures and other objects about the animal kingdom, according to an anti-encyclopedical method of association. Her pool of images and ideas has intertwined with her atelier, composed of cut-outs from lexicons, newspapers and magazines, by small plastic figures, stuffed animals, glass jars with dried insects, etc.... Sometimes a particular animal settles in the artist retina and is connected, without any comprehensible reasonable logic, to a person, friend or relative, whom she has always wanted to paint. Other times she paints only animals and dreams to create her own bestiary. In some paintings like Tapirbaby (2011), Swimming Tiger (2012) or Punschkrapfen (2012) animals stand "for" the human and not just "by" the human, as though their symbiotic identification would have been fulfilled.

In the 20th century, the unconventional representation of animals extinguished the phantoms of the old aesthetics, of the encoded sensorial and intellectual perception of the world. Animals, which for centuries had to carry the burden of being symbols, were painted to diverge from the traditional representation of reality e.g. with expressionistic colours (Franz Marc). Animals were adopted in the research of a new approach to the world, which had been relieved from the old statements of belief. The image of the animal could be then discharged from the ancient symbolic based on Physiologus and the medieval bestiaries, as well as from the natural scientific constructions of the 19th Century, where e.g. the animals were just a preliminary evolution stage of the human being. The artist of the so-called modernism suspected a new spiritual level (Wassily Kandinsky), that of the unconscious, of the dream (Joan Miró, Salvador Dalí), a reality beyond the chains of reason (Giorgio de Chirico), tradition, religion, without the theories of signs or the natural scientific categories etc.... All the examples of this aesthetic development dealing with the animal image as human counterpart or alter ego – they comprehend the physiognomy studies between humans and animals, the performances with animals in the 1960s and 1970s (Joseph Beuys) and the carnosity of Maria Lassnig's human-animal-synthesis – imprinted themselves as categorical technical attempts against a limited, symbolic or scientific, perception of the (natural) world, towards a wider projection of the human existence.

A century earlier, during the time of Aloys Zötl and Henri Rousseau, the representation of animals as archetypes of a primordial, lawless existence, led humans to discover a new path towards their bestial ego, by once again genuinely falling in love. Ina Hsu's paintings touch us with the same vibrant, serious and sharp voices of Rousseau and Zötl. Those beloved and judgeless beings, cohabiters and friends, shall never be just words or concepts. They are secret light, liquid colour, eyes with souls, looking and waiting for the next breath.



Rosanna Dematté
- BELOVED BEAST, 2012
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Copyright 2012 Ina Hsu, Innsbruck